Sierra Kidd, RAF 3.0, Mark Löscher (ehemaliger Chef von Four Music), Sebastian Andrej Schweizer (Labelchef von Chimperator), Götz Gottschalk (führt mit Max Herre gemeinsam das Label Nesola) und Adi Sharma (Radio Fritz) sprechen grundlegend über die erfolgreiche Entwicklung deutschen Raps in den letzten Jahren. Einberufen und moderiert wurde die Diskussionsrunde von Daniel Köhler.
Der Chimperator-Chef erklärt gleich zu Beginn, dass nach einer 10 jährigen Labelgeschichte erst mit dem Erfolg von Cro 2012 Geld verdient wurde.
Der ehemalige Chef von Four Music, Mark Löscher, erklärt, dass in den letzten Jahren in der Branche eine natürliche Auslese stattgefunden habe. Künstler, Manager und Labelinhaber, die dachten die Musikindustrie sei eine riesige Party, die dadurch nicht professionell handelten hat laut Löscher zu 85% heute keine Job mehr in der Branche.
In den letzten Jahren haben sich zudem die Attitude und die Strukturen verändert. Durch Twitter, Facebook, iTunes, Youtube und viele weitere Kanäle sei die Planung von Kampagnen heute wesentlich diversifizierter, aber auch in der Kommunikation mit dem Fan viel direkter geworden.
Götz Gottschalk geht kurz darauf ins Detail und schlüsselt Musik in verschiedene Säulen auf: Urheberrecht (die Komposition), Masterrecht (der Prozess wenn die Komposition zu einer Aufnahme wird), Persönlichkeitsrecht (das was der Künstler neben der Komposition und Aufnahme als Person darstellt), Auftritte und Merchandising.
Gottschalk nennt als Beispiel für das Persönlichkeitsrecht eines Künstlers die Kooperation von Cro mit dem Kleidungshersteller H&M.
Jede Säule sei mit zehn bis 20 Berufsbildern hinterlegt, die zu den “schlichten” Ergebnissen wie einer CD, einem Auftritt, einem T-Shirt einer Kooperation oder einer Komposition führen.
An einem Album, das Top 10 geht würden im Schnitt 200 bis 300 Personen arbeiten. Das sei ein immenser Komplex.
Adi Sharma, der Chef von Radio Fritz berichtet, dass seit den letzten Jahren “sehr viel los” sei und Cro für sie etwas völlig neues gewesen sei, da er mit einer bis dato unbekannten “Wucht” angekommen sei. “Easy“, “Einmal um die Welt” und “Whatever” seien in den letzten zwei bis drei Jahren jeweils über 30.000 mal im deutschen Radio gespielt worden. Der Song “Traum” erklärt Sharma könnt jetzt alles noch toppen. Für das Radio sei dies ein Segen, da so wieder junge Hörer gewonnen werden. Kollegah, der keine radiotauglichen Singles auf seinem Album “King” gehabt habe, werde als Gangstarap eingeordnet und aufgrund der expliziten Sprache kann diese Musik nicht gespielt werden. Radio Fritz habe mit dem Song “Was ist denn los mit Dir” einen Kompromiss gefunden und so spiele der Sender als einzige Anstalt diesen Song, um zu signalisieren, dass sie den Künstler und den Erfolg auch wahrnehmen.
Heutzutage würde fast jede Chart-Woche ein Deutschrap-Act die Top 10 knacken und so erklärt Sharma anhand von PA Sports, dass der Essener doch nur ein kleines Klientel anspreche, Radio Fritz jedoch eine breitere Masse bediene.
Der 17-jährige Künstler Sierra Kidd berichtet, dass das Radio nach wie vor einen hohen Stellenwert habe, da es bei der Fahrt zu der Schule oder in der Küche im Alltag immer noch stattfinden würde.
Mark Löscher zieht in Bezug auf die Wertigkeit von Verkaufszahlen einen interessanten Vergleich zu den wöchentlichen Besuchszahlen seines Lieblingsvereins, dem BVB. Alle zwei Wochen investieren viele ihr knappes Geld um einer der über 80.000 Menschen im Stadion zu sein. Wenn man vom Markt der Musikindustrie ausgehe (dem sogenannten Vielkäufer) wären dies lediglich drei Prozent der Bevölkerung in Deutschland (Käufer von 3 bis 5 CDs pro Monat oder Abonnenten von u.a. Spotify). Der Trend gehe aktuell zur Legalität (CD-Käufen oder legalen Downloads/Bezahl-Abos) und das sei bereits merkbar. So habe der Bundesverband für Musik (kurz BVMI) die Zahlen für Auszeichnungen von Singles die Grenzen nach über zehn Jahren wieder nach oben korrigiert.
Der Chimperator-Chef wird im Zuge des Themas “Skalierung des Erfolgs” auf den öffentlichen Streit mit Selfmade Records zu den Verkaufszahlen von Cros aktuellem Album “Melodie” angesprochen. Schweizer erklärt, dass wenn er etwas länger darüber nachgedacht hätte auf die Kommentare der Verantwortlichen von Selfmade Records nicht reagiert hätte. Chimperator hätte sich damals bereits über 1.000 verkaufte Einheiten gefreut, heute seien 100.000 verkaufte Tonträger immer noch ein unfassbarer Erfolg für das Label und so habe man die Zahlen auch stolz kommuniziert.
RAF 3.0 bricht das ganze anschliessend runter und erklärt, dass Indipendenza aktuell an der Grenze von 20.000 verkauften Einheiten arbeite, jedoch alle glücklich seien, wenn Sie durch die Musik genug zu Essen haben und es ihnen gut ginge. Der in Berlin lebende Rapper erklärt, dass Indipendenza die Kosten für ihre Releases sehr gering halte und das Label daher mehr verdiene als Künstler, die weit mehr als sie verkaufen.
Götz Gottschalk erklärt, dass die Zeichen für deutschen Rap sehr gut stehen und die Ausnahmestellung in der deutschen Musik in diesem Jahr durch sechs Platin-Alben und mehreren Acts, die über Locations mit einem Fassungsvermögen von über 10.000 Besuchern wie kein anderes Genre untermauert. Das Qualitätslevel an Releases und Acts sei aktuell im deutschen Rap einfach enorm hoch.
Der ehemalige Four-Music-Chef prognostiziert, dass es für deutschen Rap keinen freien Fall mehr gebe wie in den Jahren 2004 bis 2008. Statt der öffentlichen Diskussionen über Verkaufszahlen wie im Falle von Chimperator und Selfmade Records rät er zur besseren Organisation und Kooperation in der Szene.
Sierra Kidd stieg in dieser Woche mit seinem Debüt-Album “Nirgendwer” in die Top 10 der deutschen Album-Charts ein.
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In einem Interview vor kurzem sprach Sebastian Andrej Schweizer über die Promophase von Cro zu “Melodie“.
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